Informationen für Ärzte und Zentren

Die Neuregelung der Arzneimittelversorgung von Hämophilie-Patienten bringt einige Änderungen für Hämophilie-Zentren und -Ärzte. Wichtig für eine reibungslose Versorgung der Patienten mit den benötigten Gerinnungsfaktoren ist eine gute kollegiale Zusammenarbeit mit den Apotheken, insbesondere bei der Organisation der Notfallversorgung bzw. eines Notfalldepots. Damit die Versorgung der Hämophilie-Patienten über die Apotheke gewährleistet werden kann, hat das GSAV verschiedene gesetzliche Änderungen zur Folge, u. a. im SGB V, im Transfusionsgesetz (TFG), im Arzneimittelgesetz (AMG), im Apothekengesetz (ApoG), der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sowie der Packungsgrößenverordnung (PackungsV). 

 

Bezug von Hämophilie-Arzneimitteln

Hämophilie-Arzneimittel werden nicht mehr direkt vom pharmazeutischen Unternehmen an die spezialisierte Praxis bzw. das Zentrum geliefert. Ab 01.09. 2020* erhalten ausschließlich Apotheken Hämophilie-Arzneimittel vom pharmazeutischen Hersteller bzw. Großhandel zur Abgabe an den Patienten (§ 47 Abs. 1 AMG). Das bedeutet, der Patient benötigt ein vom Arzt ausgestelltes Rezept zur Vorlage in der Apotheke.  

 

Rezeptausstellung 

Zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Versorgung des Patienten mit Hämophilie-Arzneimitteln, sollten die Rezepte wie gewohnt ordnungsgemäß und formal korrekt ausgestellt werden, um unnötige Rücksprachen seitens der Apotheke und eine verzögerte Rezeptbelieferung zu vermeiden.  


Bei der Rezeptausstellung ist unter anderem auf folgende Angaben zu achten:

  • Vollständige Patientendaten
  • Krankenkasse/Kostenträger
  • Vertragsarztstempel und Arztunterschrift, BSNR und LANR
  • Ausstellungsdatum
     

Die Verordnung des Hämophilie-Arzneimittels muss eindeutig und formal korrekt sein; 

angegeben sein sollten:  

  • Präparatename
  • Wirkstärke
  • Darreichungsform
  • Packungsgröße mit PZN
  • Anzahl der benötigten Packungen. 
     

Die Angabe der Packungsgröße muss gemäß Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung (§ 8 Abs. 3) einer im Preis- und Produktverzeichnis (Arzneimittel- und Verordnungsdatenbank der Apotheken bzw. Ärzte: Lauer-Taxe bzw. ifap praxisCENTER®) befindlichen Packung entsprechen, ansonsten muss die Apotheke mit den verordneten Arzt Rücksprache halten (§ 7 Abs. 3 Rahmenvertrag).

! Hämophilie-Arzneimittel sind meistens nur als N1-Packungen im Handel. 

  • Aufgrund der Applikationshäufigkeit der Präparate müssen relativ große Mengen verordnet werden, d. h., mehrere Packungen mit identischer PZN (Mehrfachverordnung). 
  • Oft werden verschiedene Wirkstärken eines Gerinnungsfaktorpräparates benötigt und verordnet; maximal drei Verordnungszeilen sind auf einem Rezept zulässig. Hinweis: Die Rezeptbelieferung in der Apotheke erfolgt pro Verordnungszeile (§ 8 Abs. 1 Rahmenvertrag).  
  • Durch Änderung der PackungsV dürfen mehrere N1-Packungen entsprechend der definierten Normbereiche zu N2- bzw. N3-Packungen zusammengefasst werden.


§ 3 PackungsV

„Fertigarzneimittel, die nach § 47 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a des Arzneimittelgesetzes vom ausschließlichen Vertrieb über Apotheken freigestellt sind, und Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie können, soweit sie nach § 5 entsprechend gekennzeichnet sind, auf Grund einer ärztlichen Verordnung im Rahmen der Messzahlen zusammengestellt werden. Die Abgabe dieser Packungen gilt im Sinne dieser Verordnung als Abgabe einer Einzelpackung.

§ 3 PackungsV

 

Für Hämophilie-Arzneimittel gelten folgende Normbereiche (Messzahlen) lt. PackungsV: 

Arzneimittel zur Injektion/Infusion, Antihämorrhagika [Stück]

N1 = 1-1
N2 = 5-6
N3 = 29-30
 

Beispiele
Korrekte Verordnung: 30 x Gerinnungsfaktor 1 Stück N1
Falsche Verordnung: 1 x Gerinnungsfaktor N3 

 

Durch die Zusammenfassung mehrerer Packungen reduziert sich die Höhe der Rezeptgebühr für den GKV-Patienten:

  • Anstelle der Zuzahlung für beispielsweise 30 Stück N1-Packungen fällt nach Zusammenfassung gemäß § 3 PackungsV lediglich die Zuzahlung für eine N3-Packung (30 Stück ≙ N3) an.    

 

Zuzahlung

Die gesetzliche Zuzahlung fällt pro Arzneimittelpackung an und beträgt 10 % des Apothekenabgabepreises, aber mindestens 5 und maximal 10 Euro. Eine Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlung ist möglich, wenn diese 2 % bzw. 1 % (für chronisch Kranke) des Bruttojahreseinkommens übersteigt.

 

Versorgung von Privatversicherten 

Für die finanzielle Entlastung der privat versicherten Patienten, kann die Apotheke mit der Krankenversicherung des Patienten direkt abrechnen. Voraussetzung dafür ist eine Abtretungsvereinbarung des Patienten gegenüber der Apotheke. Vereinbarungen hat der Deutsche Apothekerverband (DAV) mit der HUK-Coburg, der Pax-Familienfürsorge, der Debeka, der Allianz und der AXA getroffen.

 

Dokumentations- und Meldepflichten 

Die Hämophilie behandelnden Ärzte sind für die Dokumentation der Medikation verantwortlich. Dazu übermittelt die Apotheke nach Abgabe von Blutzubereitungen, Sera aus menschlichem Blut und Zubereitungen aus anderen Stoffen menschlicher Herkunft sowie Arzneimitteln zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie entsprechende Daten gemäß Dokumentations- und Meldepflicht gemäß § 17 Abs. 6a ApBetrO an den verordnenden Arzt, der ggfs. diese an den behandelnden Arzt übermittelt.


Meldung der Apotheke an den verordnenden Arzt (elektronisch oder schriftlich nach Abgabe)

  • Bezeichnung des Arzneimittels
  • Chargenbezeichnung und Menge des Arzneimittels
  • Datum der Abgabe
  • Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des Patienten

Verantwortlich für die Meldung an das Deutsche Hämophilie Register (DHR) beim Paul-Ehrlich-Institut gemäß § 14 TFG  – Einverständniserklärung des Patienten gemäß der aktuellen Datenschutzgesetzgebung liegt vor – ist der behandelnde Arzt, d. h. das Hämophilie-Zentrum bzw. die spezialisierte Arztpraxis; ggfs. muss der verordnende Arzt die Daten zunächst an den behandelnden weitergeben. 

Alle Informationen für meldende Einrichtungen, u. a. zur Registrierung, zur Datenübermittlung, Hinweise zur Aufklärung der Patient sowie FAQs zur Meldepflicht sind bei PEI zu finden.

Informationen beim PEI

 

Deutsches Hämophilie Register (DHR)

Das Register wird vom Paul-Ehrlich-Institut in Zusammenarbeit mit den beiden Patientenverbänden Interessengemeinschaft Hämophiler e. V. (IGH) und Deutsche Hämophiliegesellschaft e. V. (DHG) sowie der medizinischen Fachgesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V. (GTH) geführt. Es werden medizinische Daten von Patienten mit Hämostasestörungen zusammengeführt, um neue Therapieoptionen zu erforschen und deren Entwicklung langfristig zu beobachten. Die Datensammlung im DHR war bisher freiwilliges Kooperationsprojekt, ist nun gesetzlich verpflichtend.

 

Notfallversorgung 

Um die Versorgung in einem medizinischen Notfall jederzeit sicherzustellen, sind Apotheken in Zusammenarbeit mit Arztpraxen bzw. Hämophilie-Zentren künftig für die Organisation eines Notfalldepots verantwortlich: 

  • Apotheken dürfen Absprachen und Vereinbarungen mit einer ärztlichen Einrichtung treffen, die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie spezialisiert ist, um den Notfallvorrat nach § 43 Abs. 3a AMG zu organisieren und Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie unmittelbar an den Arzt abzugeben (Ergänzung in § 11 ApoG). 
  • Zu diesem Zweck dürfen Hämophilie-Arzneimittel auch in den Räumlichkeiten der Praxis oder des Zentrums bereitgehalten werden.   

 

Planbare Versorgung, auch im Urlaub

Für Menschen, die dauerhaft ein Arzneimittel einnehmen müssen, können Ärzte seit März 2020 ein Wiederholungsrezept ausstellen (§ 31 Abs. 1 SGB V und § 4 Abs. 3 AMVV). 
Wiederholungsrezepte gelten ausschließlich für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel; sie 

  • müssen gesondert gekennzeichnet sein 
  • dürfen nach erstmaliger Belieferung drei weitere Male beliefert werden
  • sind drei Monate gültig, wenn der Arzt keine speziellen Angaben macht
  • Wiederholungsrezepte können somit auch für die vorausschauende Versorgung der Hämophilie-Patienten über einen längeren Zeitraum in Frage kommen, z. B. in Ferien- und Urlaubszeit.  

Hinweis: Da es bisher keine konkreten Vorgaben zum Abrechnungsprinzip gibt, werden Ärzte angehalten, keine Wiederholungsrezepte auszustellen (Stand 06.03.2020). 

 

Neue Versorgungsverträge

Für die Hämophilie-Behandlung wird es Versorgungsverträge zwischen gesetzlichen Krankenversicherungen, oder deren Landesverbänden, und spezialisierten Zentren bzw. Praxen geben. Es wird eine Vergütung von zusätzlichen, besonderen ärztlichen Aufwendungen unter Beachtung definierter Anforderungen zur Abrechnung vereinbart (§ 132i SGB V).


§ 132i SGB V 

 „[…] In diesen Verträgen soll die Vergütung von zusätzlichen, besonderen ärztlichen Aufwendungen zur medizinischen Versorgung und Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Gerinnungsstörungen bei Hämophilie, insbesondere für die Beratung über die Langzeitfolgen von Gerinnungsstörungen, die Begleitung und Kontrolle der Selbstbehandlung, die Dokumentation nach § 14 des Transfusionsgesetztes und die Meldung an das Deutsche Hämophilieregister nach § 21 Absatz 1a des Transfusionsgesetztes sowie für die Notfallvorsorge und -behandlung geregelt werden. […]“

§ 132i SGB V


Hinweise für das Patientengespräch 

Die neue Versorgungssituation für Hämophilie-Patienten aufgrund des GSAV könnte zu Verunsicherungen führen. Um dem vorzubeugen sollten die Patienten frühzeitig über die Änderungen des Vertriebsweges über die Apotheken und den daraus resultierenden Konsequenzen informiert werden. 

Hämophilie-Patienten sollten aktiv auf die neue Situation ab 01.September 2020* angesprochen werden und u. a. auf folgendes hingewiesen werden:   

  • Die Versorgung mit sicheren Hämophilie-Arzneimitteln über Apotheken ist weiterhin gewährleistetet
  • Die engmaschige fachärztliche Betreuung wird durch die neue Regelung nicht beeinträchtigt
  • Für die Arzneimittelversorgung ist ein vom behandelnden Arzt ausgestelltes Rezept notwendig, aber auch der Hausarzt kann das Rezept ausstellen
  • Information über die Regelungen zur Zuzahlung, ggfs. von deren Befreiung
  • Die Notfallversorgung ist weiterhin gesichert
  • Besondere Bedeutung der Dokumentation und Meldung an das DHR (Einverständniserklärung)

Das PEI klärt über die Rechte und Pflichten der Hämophilie-Patienten auf.

Hilfreiche Informationen können Ihre Patienten u. a. hier erhalten:

 

Weitere Empfehlungen und Tipps 

  • Informieren Sie sich über Apotheken in Ihrer Nähe, die für die Versorgung mit Hämophilie-Arzneimitteln zur Verfügung stehen und stimmen Sie evtl. Zusammenarbeit im Sinne der Patienten ab
  • Informieren Sie Patienten über versorgende Apotheken (Achtung: Zuweisungsverbot beachten!)
  • Stellen Sie Informationsmaterialien für Ihre Patienten zur Verfügung, z. B. vom PEI

 

* Bisher ist der 15.08.2020 für die Implementierung des Vertriebswegs über Apotheken vorgesehen, ab dem 01.09.2020 werden die Preise für nicht-AMNOG Hämophiliepräparate vom GKV-SV festgelegt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass beide Regelungen zeitgleich zum 01.09.2020 starten sollen. Entsprechende Änderungsanträge wurden bereits gestellt.